Ein Gelehrter und ein Herr: Zum Tode von Knud Krakau (25. 06. 1934 – 16. 06. 2024)

Am 16. Juni 2024 verstarb Knud Krakau, emeritierter Professor für Amerikanische Geschichte am John F. Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin, wenige Tage vor seinem 90. Geburtstag in Berlin. Die Nachricht von seinem Tode ist schmerzlich, doch kam sie nicht gänzlich unerwartet. Wer Knud Krakau in den vergangenen Jahren besuchte, konnte nicht übersehen, dass ihn die Lebenskraft allmählich verließ. Nach dem Verlust seiner geliebten Frau Monika im April 2011 lebte er, umsorgt von der Familie seines Sohnes, in Berlin-Zehlendorf. Seinen Angehörigen und Freunden ist es ein Trost, dass er bis wenige Tage vor seinem Tod ein weitgehend selbstbestimmtes Leben führen konnte.

Knud Krakau, der 1934 in Stettin geboren wurde und aus dem am Ende des Zweiten Weltkrieges mit seinen Eltern in den Westen flüchten musste, war von seiner Ausbildung her kein Historiker, sondern Jurist. Freilich entwickelte er schon früh ein ausgeprägtes Interesse an den USA und ihrer Geschichte. Nach der ersten Staatsprüfung 1957 erwarb er zwei Jahre später einen Master of Public Administration an der Harvard University. Seinen wissenschaftlichen Schwerpunkt legte er auf das Völkerrecht, in dem er 1967 an der Universität Hamburg promoviert und 1972 habilitiert wurde – seine venia legendi galt darüber hinaus auch für das Fach Politikwissenschaft. Nach einer kurzen Vertretungsprofessur in Trier nahm er 1974 den Ruf auf die C4-Professur für die Geschichte Nordamerikas am John F. Kennedy-Institut an, auf der er bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand im September 2000 verblieb. Damit gehört Knud Krakau zur ersten Generation deutscher Amerikahistoriker (Frauen waren tatsächlich noch nicht darunter), die unser Fach, das lange Zeit als nicht satisfaktionsfähig galt, an deutschen Universitäten auch institutionell verankern konnte. Als „Quereinsteiger“ in die Historikerzunft pflegte er dabei jedoch stets die Interdisziplinarität, für die er am Kennedy-Institut den idealen Ort fand. Die deutschen Amerikahistorikerinnen und Historiker werden Knud Krakau als einem der Pioniere unseres Faches ein ehrendes Andenken bewahren.

Schon in seiner 1967 erschienenen großen Studie über Missionsbewusstsein und Völkerrechtsdoktrin in den Vereinigten Staaten von Amerika wählte Knud Krakau einen konsequent historischen Ansatz, indem er die ideengeschichtlichen Wurzeln des amerikanischen Missionarismus bis zu den Puritanern zurückverfolgt, seine Säkularisierung durch das Naturrechtsdenken der Aufklärung nachzeichnet und kritisch seinen Einfluss auf die Völkerrechtsdoktrinen und Praxis der USA analysiert. Das Buch, seine Hamburger Dissertation, war der erste grundlegende deutschsprachige Beitrag zur Geschichte des Missionsgedankens in der US-Außenpolitik, der sich vor allem dadurch auszeichnete, dass der Autor kritische Distanz zu der seinerzeit gängigen Tendenz hielt, Ideen mit Ideologie gleichzusetzen und auf ökonomische und machtpolitische Interessen zu reduzieren. Nur ein Jahr später folgte eine zweite große Studie über Die kubanische Revolution und die Monroe-Doktrin. Eine Herausforderung für die Außenpolitik der Vereinigten Staaten, in der Krakau argumentierte, dass die Monroe-Doktrin sowohl ein Instrument amerikanischer Hegemonialpolitik in Lateinamerika war als auch dem Schutz der demokratisch-republikanischen Staatsform in der westlichen Hemisphäre dienen sollte.

Auch in seinem weiteren Gelehrtenleben beschäftigte sich Knud Krakau vor allem mit der Geschichte der US-Außenpolitik und der ihr zugrundeliegenden Ideen und Doktrinen. Darüber hinaus pflegte der studierte Jurist die Verfassungs- und Rechtsgeschichte und trat weiterhin auch mit Beiträgen zum Völkerrecht sowie zur Bedeutung internationaler Organisationen hervor. Immer wieder verbrachte er auch Forschungsaufenthalte in den USA, so als Fellow in Residence an der Smithsonian Institution in Washington, DC, als Fulbright Distinguished Fellow und an der Hoover Institution in Stanford.

Als akademischer Lehrer beeindruckte er seine Studierenden, seine Schülerinnen und Schüler durch seine umfassende Bildung und fachliche Kompetenz ebenso wie durch die geduldige Bereitschaft, jederzeit auf ihre Fragen und Interessen einzugehen. Die kritische Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Projekten und Positionen war bei ihm stets vom Bemühen getragen, Stärken und neue Perspektiven auch dann zu würdigen, wenn er selbst skeptisch war. Diskussionen mit Knud Krakau vermittelten die Erfahrung des „herrschaftsfreien Diskurses“. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Habilitand habe ich ihn als engagierten, liberalen und fairen Mentor kennen- und schätzen gelernt, der große Freiräume ließ. Ermutigung und Förderung standen bei ihm im Mittelpunkt. Als ich ihm einmal ein Konzept für einen Aufsatz vorlegte, den er schreiben sollte, schlug er mir spontan vor, den Aufsatz selbst zu schreiben, und wies damit meinen Forschungsinteressen einen neuen Weg.

Knud Krakau war ein Gelehrter vom alten Schlag, der sich in Texte und Probleme versenken konnte, bis er sie akribisch untersucht und durchdrungen hatte. Aber er lebte nie allein für die Wissenschaft. Er war vielseitig interessiert und ein feinsinniger Kenner von Kunst und Musik. Wenn er von Konzerten erzählte, leuchteten seine Augen, und man mochte glauben, selbst den Klang der Instrumente zu hören, den er so leidenschaftlich schilderte. Nach seiner Pensionierung machte er sich daran, das Cellospielen zu erlernen, aber eine schmerzhafte Arthrose und Rückenprobleme setzten ihm nicht nur beim Musizieren Grenzen. Der lange Leidensweg seiner Frau Monika, den er mit unerschöpflicher Liebe begleitete, verzehrte seine körperlichen und seelischen Energien.

Wer mit Menschen spricht, die Knud Krakau kannten, wird immer wieder dieselben Eigenschaften hören, mit denen sie ihn beschreiben: integer, liebenswürdig, zugewandt, dabei stets taktvoll, ein gelehrtes Haus mit liebenswerten Schrullen, an die wir uns gerne erinnern, aber zugleich natürliche Autorität ausstrahlend. Kurzum: Knud Krakau war das, was man altmodisch einen Herrn nennt. Alle, die das Privileg hatten, mit ihm zusammenzuarbeiten und die ihm freundschaftlich verbunden waren, werden sich seiner stets mit Zuneigung und Dankbarkeit erinnern.

Manfred Berg, Heidelberg, 21. 06. 2024